15. März 2016

Deutsche Prämissen

Aus dem Text zu einem Veranstaltungshinweis des »Institut für Germanische Philologie der Universität Wroclaw«:
„Es kann davon ausgegangen werden, dass es mit der Aufhebung der deutschen Teilung und den globalen Veränderungen zu einem Umbau des ‚Funktionsgedächtnisses’ insofern gekommen ist, als eine Neuaufnahme und Neubewertung erfolgt. Es gelangen nunmehr auch jene Vorgänge, Themen, Spuren ins lebendige Gedächtnis, die über einen längeren historischen Zeitraum ausgeblendet, abgewiesen, ausgemustert oder verworfen waren.“
Erläuternd dazu, um die ganze Tragweite dieser Aussage zu erfassen: Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht in einem Gespräch mit Frank A. Meyer in der Sending Vis-à-Vis am 13.03.2016 von falschen Prämissen in der Rekonstruktion Deutschlands in der Nachkriegszeit, vor allem der, dass in einer Form spekulativer Übertreibung angenommen wurde, dass die ganze deutsche Geschichte ihren Augenblick der Wahrheit zwischen 33 bis 1945 hätte.

Diese Lesart der Geschichte ändert sich nun. Die Prämissen der Nachkriegszeit werden hinterfragt. Nicht nur von Philosophen, Historikern oder Literaten, sondern nun auch in der Politik oder von solchen Typen wie meiner Wenigkeit. In einem anderem Zusammenhang erwähnt Sloterdijk das »Geländerdenken«, was in diesem Zusammenhang hier als Denken innerhalb von falschen Prämissen bezeichnet werden kann. Was vor einigen Jahren als Historikerstreit erlebt wurde, könnte nun die ganze Gesellschaft in ihrer Suche nach Neuinterpretation erfassen. Die Geländer verlieren zunehmend ihre Stabilität, sie waren auf sandigem Untergrund gebaut.

Wie sehr sich diejenigen, die sich innerhalb ihrer Geländer eingerichtet haben, gegen neue Sichtweisen und Interpretationen sträuben, hat man im Historikerstreit gesehen. Es wird massive Konflikte geben, wer gesteht sich schon gerne ein, sein ganzes Leben den falschen Prämissen gefolgt zu sein. Nur langsam, Stück für Stück, werden sich die neuen Sichtweisen, damit verbunden ist die Neuinterpretation des Selbst, durchsetzen. Die Philologen haben, wie es scheint, Anzeichen dafür gefunden und werden es in Breslau besprechen.

1 Kommentar :

  1. @Quentin

    Ich denke auch, dass Sloterdijk Recht hat. Der Fokus auf 1933 bis 1945 ist fatal, weil er ja nicht als integraler bestandteil der geschichte begriffen wird, sondern als überwältigende als erdrückende Singularität die mit nichts vergleichbar ist verstanden wird.
    Das bedeutet, dass derjenige der sich positiv mit der deutschen Geschichte identifizieren will das ausblenden muss und derjenige der diese Singularität
    als Ermahnung zur deutschen Verantwortung sieht davon komplett geblendet wird. Er sieht das positive nicht mehr.

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